NACHSPIELZEIT

Nachlese

Es war eine kurze Nacht nach einem langen und denkwürdigen Tag im Stuttgarter Neckarstadion anlässlich der diesjährigen Mitgliederversammlung des VfB Stuttgart 1893 e.V. Dennoch ist es mit noch relativ frischen Eindrücken Zeit für eine kurze persönliche Nachlese.

Die Veranstaltung

Es war natürlich angesichts der verschickten Tagesordnung vorher klar, dass wir uns auf eine wahre Mammutsitzung einstellen mussten. Das war für mich auch weniger das Problem, eine ordnungsgemäße Durchführung benötigt nun mal Zeit. Viel mehr war ich gespannt, wie die ganze Infrastruktur an diesem Tag funktionieren würde, nachdem die MV ja als wissenschaftlich begleitetes Modellprojekt ausgerufen wurde. Da ich mich möglichst weit vorne auf die Liste der Redner eintragen wollte, war ich schon entsprechend früh am Stadion. Der Einlass verlief unkompliziert, einzig die Regelung mit der A4-Größe der mitgeführten Tasche nervt. Im Stadion wurden feste Sitzplätze vergeben und ich ging relativ lange davon aus, dass nur jede zweite Reihe besetzt werden würde um auch nach vorne und hinten den Abstand zu wahren. Dem war nicht so, es wurden immer zwei Reihen belegt und dann eine Sitzreihe leer gelassen. Die Maskendisziplin in meinem Umfeld war zu meiner positiven Überraschung über die gesamte Dauer der Veranstaltung sehr gut, ich habe mich daher deutlich wohler gefühlt als zum Beispiel beim Testspiel des VfB gegen Darmstadt ein paar Tage zuvor. Dennoch: So ganz gelungen fand ich das nicht (und habe daher auch bei der Umfrage entsprechendes Feedback gegeben).

Spannend ist auf jeder MV des VfB ja, ob die Technik hält. Bei dieser Versammlung schien es am Anfang auch wieder auf Messers Schneide zu stehen, allerdings hat sich das von Abstimmung zu Abstimmung stabilisiert und mit etwas Geduld war eine Abstimmung dann problemlos möglich. Zudem war auch die Möglichkeit der Stimmabgabe über ein Tablet sehr gut organisiert, sodass jedes Mitglied wählen konnte. Trotz Startschwierigkeiten ein erkennbarer Fortschritt, Potenzial für Verbesserungen ist aber weiter vorhanden.

Stimmung, Reden & Wahlen

Relativ früh war an diesem Sonntag erkennbar, dass die Stimmung auf der Mitgliederversammlung eine ganz andere sein würde als ein paar Jahre zuvor an selber Stelle auf der längst legendär-berüchtigten „WLAN-Gate“-MV. War es damals von Anfang an elektrisierend und die Stimmung deutlicher in zwei Lager geteilt, so machte sich in diesem Jahr eher das Gefühl einer gewissen Gelassenheit breit, auch wenn es in den Tagen zuvor nochmal etwas (einZEITige) Dynamik im Wahlkampf gegeben hatte. Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich diese Stimmung über die ganze Veranstaltung hielt und man insgesamt von einer fairen und konstruktiven Mitgliederversammlung sprechen kann. Auch in diesem Jahr konnten alle Redner*innen durch ihre sachlichen Vortrag überzeugen (gut: Eine unrühmliche Ausnahme gab es wieder), dass es keinen Antrag auf Abbruch der Aussprache gab, spricht zudem eine deutliche Sprache. Meine Rede kann hier nachgelesen werden.

Von den jeweiligen Berichten aus den Organen und Gremien sowie der AG bleiben mir vor allem der gemeinsam von Rainer Weninger und André Bühler vorgetragene Bericht des Vereinsbeirates (sehr klare, (selbst-) kritische Worte) und der von Interim-CFO Tobias Keller vorgestellte Finanzbericht sehr positiv in Erinnerung.

Überraschend blass präsentierte sich für mich an diesem Tag Thomas Hitzlsperger, der allerdings wohl nach eigener Einlassung auch mit mehreren Fragezeichen in diese MV gegangen ist. Wie würden die Mitglieder auf ihn reagieren? Womit würde er konfrontiert werden? Vielleicht fragte er sich auch, welche Rolle ihm zugedacht sei. Und so sprach er in seiner Rede zwar immer wieder von den „Freundinnen und Freunden“, zumindest mir kam dies aber eher wie ein (übermäßig verwendetes) rhetorisches Stilmittel, denn von Herzen kommend vor. Auch inhaltlich hat er sicherlich schon bessere Reden gehalten, aber vielleicht vermutete er auch hier zu viel unsicheres Terrain. Befremdlich fand ich allerdings die Heftigkeit seiner Reaktion auf eine Rednerin, die ihm vorgeworfen hatte, sich aus ihrer Sicht noch immer nicht wirklich für seinen offenen Brief entschuldigt zu haben. Auch wenn ich bis zu einem gewissen Grade nachvollziehen kann, dass dieses Thema a) nervt und b) tatsächlich auch irgendwann mal abgeschlossen werden muss, so hätte ich mir vom CEO der VfB Stuttgart 1893 AG doch mehr Souveränität erwartet. Es muss auch für ihn absehbar gewesen sein, dass das Thema nochmals zur Sprache kommt, er hat sich also gut darauf vorbereiten können. So die Maske fallen zu lassen, tut weder ihm gut, noch der Dame, die dies angesprochen und sicher nicht damit gerechnet hat, öffentlich so angegangen zu werden.

Ein für mich wichtiger Tagesordnungspunkt war natürlich auch die Abstimmung über Satzungsänderungsanträge, schließlich stand auch meiner zur Abstimmung. Dass es dann so deutlich gereicht hat, kann ich irgendwie auch einen Tag später noch nicht glauben. Da hat sich die viele Arbeit in Erstellung des Antrages und der Begleitung nach der Veröffentlichung gelohnt. Und ich bin ehrlich: Die Vorstellung, dass in Zukunft in der Satzung meines Herzensvereins ein von mir geschriebener Passus drinsteht, macht mich stolz. Noch wichtiger ist aber, dass die Satzung nun zumindest in diesem Punkt robuster geworden ist.

Ganz unabhängig von meinem Antrag konnte ich allerdings nicht nachvollziehen, warum ein Mitglied per Beschluss die Abstimmung über alle Anträge verhindern wollte. Zumindest ist mir die Begründung des Antrages nicht einleuchtend: Weder wurden alle Satzungsänderungen im Hinterzimmer ausgeklüngelt, noch ist es so, dass man sich als Mitglied nicht einbringen konnte. Ich selbst habe nicht nur meinen Antrag eingereicht, sondern schon im Frühjahr dem Ausschuss auch weitere Impulse für die Satzung zukommen lassen. Dazu ist es illusorisch zu glauben, dass man der Mitgliederversammlung innerhalb kurzer Zeit ein komplett neues Satzungswerk zur Abstimmung wird vorlegen können und über dieses dann gar en bloc abgestimmt wird. Sosehr die aktuelle Satzung auch vieler Änderungen bedarf, das wird nur Schritt für Schritt gehen. Wichtig ist ein transparenter Prozess auf diesem Weg.

Die Vereinsbeirats-Wahlen waren aufgrund der Länge, schließlich wurden nochmal alle Bewerbungsvideos abgespielt, doch etwas quälend und wurden in ihrer Durchführung meiner Meinung nach auch den Kandidat*innen nicht wirklich gerecht. Nicht nur waren die Videos schon etwas älter, auch im Vorfeld der MV sind die Bewerber*innen leider etwas untergegangen. Denke, da besteht für das nächste Mal definitiv Verbesserungsbedarf. Möglicherweise ist es auch möglich, den Zyklus zu durchbrechen, der uns nun alle vier Jahre einen solchen Wahlmarathon beschert (man könnte z.B. über eine Änderung der Amtszeit nachdenken und einem Organ 5 Jahre geben).

Die Wahlen zum Präsidium und insbesondere zum Präsidenten waren am Ende nicht wirklich welche. Bei so deutlichen Ergebnissen muss man klar davon sprechen, dass die jeweils unterlegenen Bewerber absolut keine Chance hatte. Und dies im Verlauf der MV sicherlich auch so aufgenommen haben. Dennoch haben sich auch Hubert Deutsch, Markus Scheurer und insbesondere Pierre-Enric Steiger an diesem Tag achtbar aus der Affäre gezogen. Gerade Herrn Steiger muss ich – bei allen Kontroversen, die auch insbesondere ich mit ihm hatte – bescheinigen, sich in dieser exponierten Situation absolut korrekt und auch vereinsdienlich verhalten zu haben.

Aus meiner Sicht haben wir nun Menschen in den Organen, die den VfB wirklich voranbringen können. Die hoffentlich bei allen unterschiedlichen Ideen und Herangehensweisen für den Verein arbeiten werden. Gestern wurde von einem Vertrauensvorschuss gesprochen, den wir Mitglieder den Gewählten geben. Das ist so, jetzt müssen diese liefern!

Und sonst?

Wie gut war es bitte, endlich mal wieder im Stadion zu sein? Dort auch noch viele Menschen zu treffen, die man eine Ewigkeit nicht mehr gesehen hat? Den (sehr gesund aussehenden) grünen Rasen zu sehen? Und auch mit etwas Wehmut auf den sonst üblichen Platz im Stadion zu schauen. Trotz aller Bedenken wegen Corona: Es war sooo gut so viele liebe Menschen wiederzusehen oder auch überhaupt erst persönlich kennenzulernen!

Trotzdem war es am Ende natürlich viel zu lang. Ich selbst habe mich dabei ertappt, dass die ein oder andere Rede vor den Präsidiumswahlen einfach so an mir vorbeigerauscht ist. Vielleicht war es eine gewisse Erschöpfung, vielleicht aber auch die Erkenntnis, dass die Ergebnisse früh vorhersehbar waren. Die sehr gute und prägnante Rede von Christian Riethmüller hat dafür umso mehr mitgerissen.


Zum Abschluss noch ein kleiner Hinweis: Für mich (wie ganz sicher auch viele andere) waren die letzten Monate seit Jahresbeginn in Bezug auf den VfB sehr herausfordernd, teilweise auch belastend. Der Verlauf der letzten 24 Stunden zeigt aber, dass sich all unsere Mühe und Arbeit – in welcher Form auch immer – gelohnt hat. Für mich heißt das aber auch, dass ich mir mal ein paar Tage „VfB-frei“ nehme. Um danach dann wieder mit neuer Energie aufmerksam und kritisch das Treiben in der Mercedesstraße zu begleiten.

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1 Kommentar

  1. Joe 19. Juli 2021

    Lieber Ron, vielen Dank für Deinen Einsatz für unseren Verein! Stellvertretend auch für einige Andere die sich in ähnlicher Form einbringen.
    Ich wünsche dir gute Erholung für die „VfB freien Tage“ !
    Beste Grüße

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