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Stuttgart Downfall

Kennt Ihr die berühmte Szene aus Monty Python’s „Ritter der Kokosnuss“, in der der schwarze Ritter im Kampf allmählich seine Extremitäten verliert, aber immer nur von einem „Kratzer“ spricht? So ähnlich geht es uns nun mit dem VfB Stuttgart.

Seit der Ausgliederung verlieren die Mitglieder immer mehr an Einfluss im Club, sprichwörtlich wurden dem VfB seit dem schon Arme und Beine abgeschlagen. Und irgendwie hat man sich doch immer wieder versucht selbst damit zu belügen, dass es zwar schon echt nicht gut sei, aber es schon nicht ganz so schlimm werden würde. Und außerdem überdeckt der aktuelle sportliche Erfolg ja auch Einiges. Mit der heutigen Absetzung des Präsidenten des e.V. als Vorsitzenden des Aufsichtsrates wurden nun aber nach Armen und Beinen auch der Kopf abgeschlagen und wir Mitglieder sind damit endgültig dort angekommen, wo uns das „Kapital“ (v.a. die Investoren) schon immer sehen wollten: In der bedeutungslosen Rolle als folkloristisches Element in einem „Traditionsverein“.

Strukturen über Personen

In den allermeisten Organisationen muss es immer darum gehen, dass Strukturen geschaffen werden, die unabhängig von Personen funktionieren. Unter anderem deswegen war es damals im Zuge der Ausgliederung auch so wichtig, dass versprochen wurde, dass immer der Präsident des e.V. den Vorsitz des Aufsichtsrates innehaben würde und somit die Mitglieder auch in der neuen Konstellation angemessen repräsentiert wären. Dass sich dies dann im echten Leben stark in den ohnehin schon engen Grenzen halten würde, wurde dann sehr schnell klar. Dennoch: Zumindest auf dem Papier war diese Möglichkeit vorhanden und konnte potenziell entsprechend ausgefüllt werden (dazu später noch mehr). Dass dies nicht schriftlich fixiert wurde, muss als weiterer Fehler in der langen Reihe von Dingen gesehen werden, die damals zum Schaden des e.V. umgesetzt wurden.

Für mich wichtig ist hierbei, dass der Präsident des e.V. qua Wahl auf der Mitgliederversammlung auch die größte Legitimation hat, da er nun mal die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte. Oder anders gesagt: Die Mitglieder haben mit ihrer Abstimmung deutlich gemacht, dass sie der gewählten Person das Vertrauen aussprechen, sie bestens zu repräsentieren. Mit Abstrichen gilt dies dann auch für die anderen Mitglieder des Präsidiums. Keine Legitimation lässt daraus für andere Mitglieder des Aufsichtsrates ableiten, die lediglich bestimmt wurden (auch wenn sie eigentlich den e.V. im AR „vertreten“ sollen).

Die „50+1″-Regel soll den sportlichen Wettbewerb in den deutschen Profiligen schützen, indem verhindert wird, dass Investoren die Entscheidungsmacht über die Strategie eines Fußballvereins übernehmen. Damit soll verhindert werden, dass Investoren Gesellschaften (z.B. eine ausgegliederte Aktiengesellschaft) mehrheitlich übernehmen und so den Vereinen das Mitspracherecht streitig machen. Beim VfB kann jetzt beobachtet werden, wie eine Struktur geschaffen werden soll, die dieses möglichst elegant umgehen soll. Kurzfristig ist das Ziel, den e.V. auch von diesem letzten Posten des Einflusses abzuschneiden, langfristig wird man hier auch versuchen, entsprechende (genehme) Personalien zu platzieren und den gesamten VfB auf Linie zu bringen.

Was man daraus macht

Und deswegen müssen wir dann doch auch darüber sprechen, dass die jeweiligen Akteure natürlich trotz alledem Einfluss auf die Ausgestaltung dieser Regel bzw. Struktur haben. Normen stehen immer in einem Kontext, der aus der historischen Entwicklung bedingt ist, in welchem Umfeld eine Norm steht und auch, welchen Sinn und Zweck eine Bestimmung hat. Das heißt, es gibt neben den harten Paragrafen auch immer einen „Geist“, der einer Regelung zugrunde liegt. Und hier kommt ins Spiel, wie die jeweiligen Personen ihren „Auftrag“ interpretieren und leben. In extremen gesprochen kann man hier die Fahne der Mitglieder hochhalten und versuchen, die Übernahme durch Kapitalgeber weitestgehend zu verhindern. Oder man kann Investoren in allen Aspekten Tür und Tor öffnen. Dass es in der Realität auch in diesem Themenkomplex viele Grautöne dazwischen gibt, sollte klar sein.

Claus Vogt* ist mit dem Versprechen angetreten, Fanpräsident sein zu wollen und die entsprechenden Werte zu vertreten. Mit Blick auf seine Vorgänger kann man ihm dies sicherlich zugestehen, auch wenn er irgendwann sicherlich ebenso mit Anforderungen der Realität konfrontiert wurde, wie es zum Beispiel auch der leider viel zu früh verstorbene Kay Bernstein in Berlin erleben musste. Ein Fußball-Club führt sich nicht nur aus nostalgischer Tradition, auch wirtschaftliche und gesellschaftliche Interessen spielen selbstverständlich eine Rolle. Daher wird auch er gemerkt haben, dass es nun mal realpolitische Aspekte gibt, bei denen zu viel Idealismus einfach nicht mehr möglich ist. Dennoch habe ich den Eindruck, dass er im Rahmen des Möglichen versucht hat, uns Mitglieder auch in der Kapitalgesellschaft weitest möglich zu vertreten. Gab es hier Grenzen aufgrund der Struktur? Bestimmt. Und hat er dabei auch Fehler gemacht? Sehr wahrscheinlich. Dennoch bin ich mir sicher, dass der VfB schon heute sehr anders aussehen würde, wenn Claus Vogt nicht immer wieder gegen externe Einflüsse gekämpft hätte. Wenn ich mir anschaue, mit welcher Vehemenz nun schon seit Jahren von unterschiedlichster Stelle versucht wird, ihn im Amt aber auch als Person zu diskreditieren, dann scheint er damit recht erfolgreich gewesen zu sein …

Im aktuellen Versuch scheinen sich nun seine Gegner gegen ihn durchgesetzt zu haben. Erst wurden ihm und anderen Gremienmitglieder beim Einstieg von Porsche die Pistole auf die Brust gesetzt (anders kann man die Absichtserklärungen, die alle unterzeichnen sollten/mussten nicht interpretieren) und dann hat man nach vollzogenem Closing Nägel mit Köpfen gemacht und mit Tanja Gönner die Steigbügelhalterin für die Machtübernahme „aktiviert“. Diese ist schon frühzeitig durch die Gremien getingelt, um auszuloten, wie den die Ablösung Vogts möglichst so arrangiert werden konnte, dass dies zu keinem großen Aufruhr in den relevanten Mitglieder- und Fangruppen führt.

Was bleibt uns noch?

Wie oben schon geschrieben, sind wir Mitglieder endgültig nur noch schmückendes Beiwerk im Geschäft Profifußball. Umso wichtiger ist es uns darauf zu besinnen, was wir tatsächlich noch machen können. Ganz zuvorderst steht wie immer, genau hinzuschauen und sich nicht von sportlichem Erfolgen blenden zu lassen. Außerdem können und müssen wir alle durch uns gewählten Verantwortlichen für ihr Verhalten in dieser Sache zur Rechenschaft ziehen. Offen und öffentlich darüber sprechen. Entlastungen verweigern. Die abwählen, die sich aktiv gegen das Votum der Mitglieder entschieden haben. Die den e.V. verraten haben.

Gleichzeitig kann und muss man sich weiter Gedanken machen, welche Möglichkeiten es gibt, Strukturen zu verbessern, um mehr Mitsprache durch die Mitglieder zu erreichen. Hier könnte es den ein oder anderen Ansatz geben, auch wenn dies längerfristig angelegte Projekte sein werden und genau durchdacht werden müssen.

Wir müssen alle mit unseren jeweiligen Mitteln dafür kämpfen, dass der VfB Stuttgart von 1893 nicht ein Spielball von Investoren und deren Managern wird. Wir Mitglieder als höchstes Souverän sind die Mehrheitseigner der VfB Stuttgart 1893 AG, alle anderen halten nur Minderheiten! Vielleicht ist es ein Kampf gegen Windmühlen, aber ein Kampf, den wir führen müssen!

Noch ein Wort ..

Anders als in den vergangenen Monaten musste heute wohl die Kommunikation zu diesem insgesamt ungeheuerlichen Vorgang nicht so lange abgestimmt und weich gekocht werden, bis sich ja auch niemand auf den Schlips getreten fühlt. Anders kann ich mir diese Unverschämtheit nicht erklären. Man muss nicht mal groß zwischen den Zeilen lesen, um zu sehen, dass dies ein einziges Nachtreten gegenüber dem immer noch amtierenden Präsidenten ist. Unwürdig für den Verein und stillos.

Und eines Frau Gönner können Sie mir glauben: Es wird keiner auf das durchschaubare Framing hereinfallen, dass hier versucht wird aufzubauen. Auch wenn Sie sich das als „vom e.V. entsandt“ gerne zu eigen machen wollen, so haben Sie doch keinerlei Legitimation von uns Mitgliedern. Zudem zeigt dieser Vorgang nun, dass Sie gerade nicht unsere Interessen vertreten wollen. Sie und alle anderen Vertreter bzw. Enabler der Investoren sind vielmehr die endgültigen Totengräber des einst so stolzen VfB Stuttgart. Sie mögen ja viel genießen, aber ganz gewiss nicht mein Vertrauen! Und ganz zuletzt werden Sie und Ihre Kumpane im AR ganz gewiss nicht darüber bestimmen, wann wir Mitglieder einen neuen Präsidenten wählen und wer dies dann sein wird. Das impliziert doch der letzte in der Pressemeldung zitierte Satz, oder?

It ain’t over till it’s over …!


*Full disclosure (wer es tatsächlich noch nicht weiß): Claus Vogt und ich kennen und schätzen uns. Ich bin 2. Vorsitzender im einst vom ihm gegründeten FC PlayFair! und folge daher einigen Vorstellungen, die auch Claus in den Fußball einbringt. All das hindert mich allerdings nicht daran, ihn wo nötig auch zu kritisieren und zu hinterfragen. Und insbesondere in der aktuellen Situation muss es nicht um Personen, sondern die richtigen Strukturen gehen!

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