NACHSPIELZEIT

Ende gut, alles gut

Als Lustspiel kann es nicht eindeutig der Gattung der Komödie zugeordnet werden und wird daher allgemein als problem play (Problemstück) oder als dark comedy (dunkle Komödie) bezeichnet.

Über „Ende gut, alles gut“, ein Stück von William Shakespeare (Quelle: Wikipedia)

Was viele – mich eingeschlossen – noch vor wenigen Tagen und Wochen kaum noch zu hoffen gewagt haben ist tatsächlich eingetroffen: Der VfB Stuttgart hat den direkten Wiederaufstieg geschafft und wird in der kommenden Saison wieder in der 1. Bundesliga spielen. Dazu gratuliere ich der Mannschaft, dem Trainerteam und allen Verantwortlichen herzlich! Mit dem gleichzeitigen Aufstieg der U21 konnte so diese doch so ungewöhnliche Saison noch bestmöglich abgeschlossen werden. Ende gut, alles gut!

So einfach ist es leider zumindest für mich nicht. Auch wenn ich mich darüber freue, dass der VfB tatsächlich noch das ausgegebene Saisonziel erreicht hat, so kann ich genauso wenig darüber hinwegsehen, dass die nun hinter uns liegende Saison von Höhe- aber leider auch vielen Tiefpunkten geprägt war. Zu oft war es mehr ein „problem play“ denn „Lustspiel“.

Im vergangenen Sommer war der Abstieg Anlass, einen sehr großen Umbruch in der Mannschaft einzuleiten. Sehr viele Spieler verließen den VfB, neue Spieler wurden verpflichtet und allgemein wurde diese Maßnahme als durchaus notwendig erachtet, schließlich hatten sich die Absteiger nicht mit Ruhm bekleckert, das Vertrauen war dahin. Und so stehen nominell 24 Neuzugängen immerhin auch 23 Abgänge gegenüber. Wenn man bei schlechten Leistungen davon spricht, dass man eigentlich die ganze Mannschaft entlassen sollte, dann kommen wir dem hier schon relativ nahe …

Eine durchaus umfangreiche Liste …

Ein derart großer Umbruch bringt einige Herausforderungen mit sich. Nicht nur muss aus dieser Ansammlung von Einzelspielern ein funktionierendes, sportlich erfolgreiches Team geformt, sondern dieses den Fans auch als neue Inkarnation des Clubs mit dem Brustring vermittelt werden. Ich will das Thema „Identifikation mit der Mannschaft“ an dieser Stelle nicht nochmal groß aufgreifen, das habe ich in den letzten Wochen ja schon getan. Nach nun zwei sehr überzeugend gewonnenen Spielen (und dem verlorenen letzten Saisonspiel) will ich nur anmerken, dass zwar der sportliche Erfolg sicherlich bei der Identifikation hilft (auch bei mir, da muss ich ehrlich sein), aber trotzdem nicht Alles ist. Aber ich wollte der Mannschaft ja Zeit geben …

Nun ist es immer eine Herausforderung ein ausgewogenes und funktionierendes Team zusammenzustellen, dies dann permanent auf einem hohen Leistungsniveau zu halten und Einzelpersonen mit ihren individuellen Interessen unter einen Hut zu bringen und fortdauernd zu motivieren. Zur Erfüllung der gestellten Aufgabe müssen die Teammitglieder interagieren und ihre Rollen finden und ausfüllen. Das ist im Sport nicht anders als in der Wirtschaft. Wie schwer dies ist und wie man auch daran scheitern kann, konnte man mitunter in der abgelaufenen Saison beim VfB beobachten. Denn wenn mich der Eindruck von Außen nicht täuscht, hat es da immer mal wieder ordentlich geknirscht.

Selbstverständlich hat es sich der VfB auch in dieser Saison nicht nehmen lassen, mehr als einen Trainer zu verpflichten. Schließlich hat man einen Ruf zu verlieren …

Man ging mit Tim Walter in die neue Spielzeit, der mit seinem forschen Ansatz genau das verkörperte, was sich die Thomas Hitzlsperger und Sven Mislintat vom runderneuerten VfB versprachen. Walter sagte zu seinem Fußball: „Meine Vorgehensweise ist, dass ich mutigen, attraktiven Fußball spielen lasse, der immer aktiv ist“. Und was haben wir uns alle die Augen gerieben, als zum Saisonauftakt gegen Hannover tatsächlich eine sehr bewegliche Mannschaft auf dem Platz stand, die den Gegner durch ständige Positionswechsel und schwer vorhersagbare Laufwege im Griff hatte. Stellvertretend dafür habe ich noch die Szene vor Augen, in der Marcin Kaminski plötzlich an der gegnerischen Grundlinie auftauchte um in den Strafraum zu flanken. Und das als Abwehrspieler! Irgendwas muss dann passiert sein, denn je weiter die Saison voranschritt, desto weniger war davon zu sehen. Aus Mut wurde Zurückhaltung, „attraktiv“ war das neue zäh und „aktiv“ bedeutete viel Ballbesitz und Passfolgen ohne Raumgewinn. Der Erfolg schwand und in gleichem Maße wurde das Spiel des VfB immer unattraktiver. Einen Tag vor Weihnachten zogen die sportlich Verantwortlichen dann die Notbremse und Tim Walter musste den VfB verlassen. Im Nachhinein kann man darüber spekulieren, ob es tatsächlich nur sportliche Gründe waren. Die kürzlich getätigte Aussage Walters „Das sportliche Führungsteam muss perfekt zueinanderpassen, die Vorstellungen sollten sich idealerweise komplett decken“, lassen auch andere Interpretationen zu.

Neuer Trainer wurde dann Pellegrino Matarazzo, der von der TSG Hoffenheim zum VfB kam. Hatten vielen Hitzlsperger und Mislintat schon mit der Verpflichtung Walters einen gewissen Mut bescheinigt, so trifft dies für die Entscheidung für Matarazzo auf jeden Fall zu. Zumindest in seinem Auftreten nach Außen ist der Chefcoach ein Gegenentwurf zu seinem Vorgänger. Sehr überlegt in seinen Äußerungen und eher zurückhaltend wird man von ihm nie hören, dass sich nur der VfB selbst in Bezug auf den Aufstieg ein Bein würde stellen können. So ein bisschen hatte man aber leider auch den Eindruck, dass diese Zurückhaltung in die Mannschaft einsickern würde. Nach einem durchaus positiven Start fand man sich als Zuschauer das ein oder andere Mal wieder in Walter-Zeiten zurückversetzt, in den Ballbesitz die wichtigste Kennzahl zu sein schien und man darüber ganz den Zug zum Tor vergaß. Auch nach der Corona-Zwangspause kam der VfB nicht so recht in Tritt und verlor erneut Punkte gegen Mannschaften, denen man aufgrund Tabellensituation aber auch Kader hätte überlegen sein sollen. Als sehr positiv empfinde ich allerdings, das Matarazzo in der Reflexion für sich die richtigen Schlüsse gezogen zu haben scheint und die Mannschaft gerade noch rechtzeitig in Fahrt gekommen ist. „Wenn man von seinen Spielern Mut verlang, darf man selbst kein Angsthase sein“ ist für mich auf mehreren Ebenen ein wichtiges Zitat, für das man dem Trainer nur Respekt zollen kann.

Insgesamt bin ich trotz des Aufstieges mit der Saison nicht wirklich zufrieden. Wieder konnte ein Trainer nicht gehalten werden. Wir haben wirklich grausame Spiele gesehen, bei denen man die Einstellung der Mannschaft in Frage stellen musste.* Ich hatte irgendwann nicht mal mehr Lust ins Stadion zu gehen (bis mir Corona dann diese Entscheidung abnahm). Wirklich alarmierend ist aber, dass ich damit nicht alleine bin, wie ich aus vielen persönlichen Gesprächen weiß. Hier muss der VfB unbedingt schleunigst einen Weg finden, dieses Missverhältnis wieder ins Lot zu bringen. Das kann er nicht alleine tun, da müssen alle Beteiligten mitmachen. Aber der Club aus Bad Cannstatt hat dafür den größten Hebel.

Was hingegen am Ende (Stand jetzt) meiner Meinung nach wirklich gut ausgegangen ist, ist die Sache mit dem Präsidenten. Claus Vogt alleine in der Kurve oder sonst wo im Stadion stehen zu sehen, hat besser getan, als man vielleicht hätte glauben können. Er ist sympathisch und authentisch und verkörpert damit etwas, was man auf dieser Position beim VfB schon lange nicht mehr hatte. Sicherlich ist die inhaltliche Arbeit im Verein (auch durch Corona) etwas zu kurz gekommen bzw. bisher nicht in größerem Umfang mit Ergebnissen nach Außen gedrungen. Hier sollte mehr Fahrt aufgenommen werden! Insgesamt habe ich bei Claus Vogt vom Feeling her aber ein gutes Gefühl**.

In dem Zusammenhang ebenfalls positiv zu erwähnen ist der Umstand, dass unter der Führung von Hitzlsperger und Vogt auch der VfB langsam dazu findet, sich eindeutiger für gesellschaftliche Werte zu Positionieren. Ein wichtiger und mehr als richtiger Schritt! Überhaupt konnte an in den letzten Monaten auch in der Kommunikation durchaus eine Lernkurve beobachten. Noch läuft nicht alles glatt (Stichwort: Verzicht auf Rückerstattung Dauerkarten), aber immerhin tut sich etwas.

Der VfB unterstützt die Aktion #SportPride2020

* Ja lieber Herr Mislintat: Ich habe die Mannschaft durchaus das ein oder andere Mal in Frage gestellt. Einzelne Spieler auch. Und bin mit Erwartungen in die Saison gegangen. Zu hohen Erwartungen? Ich weiß nicht. Erwartet habe ich auf jeden Fall, dass man die Saison einigermaßen souverän würde bestreiten können – dann hat man aber z.B. in der Hinrunde gegen den letzten und vorletzten der Tabelle verloren. Außerdem dachte ich, dass die Mannschaft mit dem höchsten Marktwert in der Liga gegen die (vermeintlich kleineren) Mitbewerber viel häufiger hätte Lösungen finden müssen (dass sich viele hinten rein gestellt haben, wird niemanden überrascht haben). Oder dann wenigstens mit reiner Willensanstrengung Spiele für sich entschieden hätte. War leider auch viel zu selten der Fall. Insgesamt hätte ich eigentlich eine Saison wie die von Arminia Bielefeld vom VfB erwartet. Ich weiß, das hört sich seltsam an, wenn man so über einen Club spricht, der sich ab dem dritten Spieltag immer unter den Top 3 der Tabelle befunden hat und am Ende aufsteigt. Aber so ist das halt: Manchmal spiegelt das Gefühl nicht den Tabellenstand wieder. Das muss diese Irrationalität sein, die das Fan-Sein auch bedeutet.

** Disclaimer: Wir kennen uns persönlich schon von vor der Zeit als Präsident des VfB.

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